„Ich will aus Liebe leben“ – Christiane Berkvens- Stevelinck
„Du kannst lernen, der anderen Person zu vertrauen, indem du dir selbst voll und ganz vertraust. Für andere und zunächst einmal für sich selbst. Das klingt einfach, ist aber vielleicht das Schwierigste im Leben.“
Christiane Berkvens-Stevelinck
Vor einiger Zeit lasen wir bei einer Abschiedsfeier „Leben aus Liebe“. Der Text stammt von Christiane Berkvens-Stevelinck, der verstorbenen „Predigerin der Liebe“ und unserer Botschafterin der ersten Stunde (mehr). Den Text finden Sie in unserem Stundenbuch Jahreszeiten des Lebens, aus dem wir jeden ersten Samstag im Monat, kurz nach Sonnenaufgang in der Stevens-Kirche in Nimwegen (Tagesordnung), einen Text lesen.
Nachfolgend finden Sie den vollständigen Text.
Leben aus Liebe
Von: Christiane Berkvens-Stevelinck
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich mir eine knappe Frage gestellt. Die Frage, die man als Pilger auf dem Weg der Weisheit im Rucksack mitnehmen kann. Was ist für mich essentiell im Leben?
Die Antwort kam von selbst, wie eine Art Mantra, das sich in Kopf und Herz immer wieder wiederholte: Ich will aus Liebe leben.
Die britische Schriftstellerin Jane Austen schrieb: Es gibt so viele verschiedene Formen der Liebe, wie es Momente in der Zeit gibt. Liebe nimmt unzählige Formen zwischen Menschen an. Bedingungsloses Engagement, Verantwortung für das Wohlergehen des anderen, Mitgefühl, Seelenverwandtschaft, Freundschaft fürs Leben, Leidenschaft. Die Liebe besitzt alle Farben des Regenbogens, der wesentlich schöner ist als fünfzig Grautöne. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Liebe ist ein Chamäleon. Eine Reihe von Möglichkeiten, das ist es, was die Liebe bietet.
Dazu berufen mich nicht nur jüdische und christliche Traditionen, sondern unzählige Philosophien. Der rote Faden ist die Goldene Regel, ein Lebensgefühl, das bereits im indischen Mahabharata, in der Philosophie des Konfuzius, bei den alten Griechen, in der jüdisch-christlichen und islamischen Tradition, im Buddhismus und bei den großen Philosophen zu finden ist. In der positiven Form hört es sich so an: Behandle den anderen so, wie du selbst behandelt werden möchtest. Da steht kein Wort Spanisch drin, und wer möchte nicht geliebt werden?
Im Blindflug
Im Kralingse-Bos trainieren Blinde und Sehbehinderte wöchentlich für den Marathon. Wenn Sie nicht laufen können, gehen Sie Nordic Walking. Im Blindflug unterwegs? Willst du überhaupt viel laufen, wenn du keine Nuss siehst? Ja! Auch blinde und sehbehinderte Menschen weisen den Weg auf Ihrer Pilgerreise.
Das geht so: Der blinde Läufer hat ein rotes Band um sein Handgelenk, das von einem sehenden Kumpel gehalten wird. Und sie laufen, hart, im gleichen Tempo. Die Idee kam von einem athletischen jungen Mann, der plötzlich aus den Augen verlor. Davon lässt man sich nicht abhalten, oder? Zuerst lief er den Marathon mit seinem Blindenhund, jetzt mit seinem Kumpel und seinen Freunden von Running Blind.
Das Spazierengehen mit einem Kumpel oder mit einem Blindenhund erfordert absolutes Vertrauen auf beiden Seiten. Wer sieht, der führt, wer nicht sieht, der folgt. Blindlings. Das ist der Grund, warum das Wort geprägt wurde, glaube ich. Vertrauen in das Gegenüber ist absolute Voraussetzung. Der Nicht-Sehende folgt dem Kompass, der Sehende hält den Kompass. Im Übrigen laufen sie genauso schnell, bekommen die gleichen Wadenkrämpfe und geraten gleichzeitig außer Atem.
Ist das nicht eine Metapher für jede wirkliche Begegnung zwischen Menschen? Jemanden auf dem Lebensweg wirklich zu treffen, gelingt nur, wenn man sich gegenseitig voll und ganz vertraut und sich traut, die eigene Verletzlichkeit zu zeigen. Sich gegenseitig nicht zu vertrauen oder das Vertrauen des anderen zu missbrauchen, hat für blinde Läufer nur eine Konsequenz: einen schmerzhaften Sturz. Das ist bei sehenden Menschen nicht anders, oder?
Vertrauen
Doch wie lernt man, dem anderen zu vertrauen, wenn man schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht hat? Glücklicherweise ist die Wertentwicklung in der Vergangenheit kein dauerhafter Beweis für die Zukunft. Hier kommt die alte Goldene Regel wieder ins Spiel, aber jetzt in negativer Form: Was du nicht willst, dass man dir antue, das füge auch anderen nicht zu.
Auch Spanisch ist dort nicht zu hören. Du kannst lernen, der anderen Person zu vertrauen, indem du dir selbst völlig vertraust. Für andere und zunächst einmal für sich selbst. Das klingt einfach, ist aber vielleicht das Schwierigste im Leben. Um Vertrauen zu gewinnen, in sich selbst, in andere, in die Welt, in der du lebst, ist Liebe unabdingbar. Das ist es, was mich dieses Mantra lehrt.
Deshalb: Aus Liebe will ich leben.
Christiane Berkvens-Stevelinck
Vml. Emeritierter Professor für Europäische Kultur an der Radboud-Universität Nijmegen, Remonstranten
Prediger und ritueller Ratgeber.
Erfahre mehr über Christiane Berkvens-Stevelinck
Schauen Sie sich eines ihrer Bücher an, wie z.B. „free rituals“ (Link) oder die Sendung de Verwondering, in der sie interviewt wurde (Link). Lesen Sie unser In Memoriam über Christiane: mehr.
Foto: KRO, de Verwondering