Erwägen… der Weg der Weisheit: auf halbem Weg (Bericht von Pilgerin Simone Venderbosch, Teil 2 von 4)
Text & Bilder: Simone Venderbosch
Am sechsten Tag meines Weges der Weisheit habe ich eine gute Routine. Mittlerweile habe ich meinen eigenen Rhythmus gefunden und das Alleinsein tut mir gut. Ich komme gut zurecht, genieße es, unterwegs zu sein, eine neue Umgebung zu entdecken und ständig neue Leute kennenzulernen. Es ist auch der erste Tag, an dem ich nach den heißen Tagen mit einem Wetterumschwung und den damit einhergehenden Regen/Gewittern zu kämpfen habe.
Glücklicherweise gelingt es mir, den Gewittern auszuweichen und überaus zufrieden und entspannt in Richtung Campingplatz zu laufen. Ich liebe Solo-Camping so sehr! Das erste, was ich mache, wenn ich auf meinem neuen Campingplatz ankomme, ist ein Gespräch mit den Nachbarn. Für den Kontakt, aber auch sehr praktisch, um mir einen Hammer auszuleihen, um meine Heringe in die knochentrockene Erde zu bekommen. Neben einem Hammer wird mir meist noch etwas anderes angeboten. Wie viele Tassen Kaffee, Teller mit Essen oder Einladungen habe ich auf dem Weg erhalten! Es gibt wirklich viele nette Menschen auf der Welt!
Ausschlafen
Diesmal wird mir neben dem Hammer auch ein Stuhl von meinen Nachbarn angeboten. Der Vorteil von 1,60 Metern ist, dass ich zusammengerollt auf der Seite in meinem Schlafsack liegen konnte. Es war kühl und es wehte ein starker Wind. Und das war schön, sich hinzulegen! Ich schlief an diesem Nachmittag auf dem Stuhl ein. Abends habe ich dann aber nur noch im Zelt geschlafen. Am nächsten Tag schlafe ich bis halb acht aus. Ich stelle mir bei dieser Wanderung übrigens bewusst keinen Wecker, ich schlafe, bis ich automatisch aufwache. Heute fühle ich mich sehr spät dran, denn ‚Nachbar Hammer‘ frühstückt schon und ‚Nachbar Klappkessel‘ wusch sich schon die Hand! Das Zelt ist zum ersten Mal feucht, als ich es packen will. Es ist übrigens auch der erste Campingplatz ohne Ameisen oder Mücken!!
Smalltalk machen
Ich frühstücke mit all meinen Habseligkeiten im Gemeinschaftsraum, wo ich die Aufmerksamkeit des Großvaters des Campingplatzes auf mich ziehe. Er hat heute Lust auf ein Gespräch. Eine andere Frau schlurft zu uns herüber und es entsteht spontan ein schönes Gespräch. Nach einer Weile entschuldige ich mich, dass ich jetzt wirklich gehen muss. Wenn ich weggehe, bekomme ich einfach mit, was die beiden zueinander sagen: ‚Ist das nicht schön?‘ „Ja, schön“.
Halbwegs
Ein Stück weiter stoße ich auf eine kleine Kapelle Unserer Lieben Frau. An dieser Stelle (die etwa auf halber Strecke des Weges der Weisheit liegt) zünde ich eine Kerze an. Es gibt auch ein Logbuch für Pilger. Wie schön, die Geschichten anderer Leute zu lesen! Und ein guter Moment, um darüber nachzudenken, was mir die Reise bisher gebracht hat. Ich versuche, das in Worte zu fassen. Und jetzt ist es da, auf dem Papier. Es ist plötzlich sehr greifbar. Wenn ich mich nach dem Schreiben umschaue, sehe ich, dass Maria zu meinen Füßen liegt, während ich schreibe. Ich sehe auch, dass Maria auf dem Altar mit der Hand auf meine Kerze zeigt. Wow, wie magisch das ist. Es ist ein wirklich ruhiger Ort. Mensch, bin ich wirklich auf halbem Weg?
Der nächste Teil entlang der Auen ist warm und es gibt nichts Besonderes auf dem Weg zu sehen. Das Besondere ist, dass mir der Wind so ein wohltuendes Gefühl gibt. Alles raschelt in meinem Weg. Ich gehe in einem angenehmen Rhythmus. Die langen Strecken auf den Auen in Richtung Grave und der Wind geben mir die Ruhe, mich in mich selbst zu verwandeln. Grave rückt näher und ich möchte noch nicht wirklich in einem Dorf sein. Gib mir einen Moment Stille. Ich setze mich an ein Maisfeld, schreibe ein Stück und genieße den Wind. Auf der Terrasse bekomme ich meinen nächsten Ring. Ein schwarzer Ring mit dem Text „from the Grave“ darauf. Galgenhumor.
Außerhalb von Grave laufe ich ruhig die letzten Kilometer in Richtung Kloster. Es ist ein bizarrer Kontrast; Zu meiner Linken verrotten die Kartoffeln aufgrund der Trockenheit und zu meiner Rechten steht das Wasser des Baches sehr hoch! So hoch, dass ich das letzte Stück über den Stacheldraht klettern muss, weil mein Weg überflutet ist.
Ein nüchternes Zimmer?
Im Kloster werde ich herzlich empfangen und bekomme nach dem, was man sagt, ein nüchternes Zimmer. Wobei man es kaum als streng bezeichnen kann. Ich habe sogar ein Namensschild an der Tür! Und WLAN und Baumwollbettwäsche! Top Mann! Ich esse eine warme Mahlzeit in der Mensa mit dem Hausmeister. Was für ein schönes Zimmer! Nach dem Abendessen spülen wir gemeinsam in der großen Küche, ist das nicht toll? Und jetzt sitze ich auf einem Stuhl am Wasser. Besser geht’s nicht…
Und es hört nicht auf. Schließlich ist der Manager ein Tausendsassa; Morgen früh um halb acht werde ich mit ihm in der Kapelle eine stille Meditation halten. Mir fehlen die Worte… Es ist so überwältigend.
7.30 Meditation
… Dass ich annehmen kann, was ist,
vertraue auf das, was kommt,
loslassen kann, was war,
Jederzeit zu Atem kommen
Da ich nichts besitze, bin ich frei.
Loslassen, Vertrauen und frei sein. Kleine Worte mit großer Bedeutung. Wie schön fassen diese Worte zusammen, was mir diese Pilgerreise bisher gebracht hat. Die Worte und der Aufenthalt im Kloster haben einen großen Einfluss auf mich. Es fühlt sich an wie eine Art Wendepunkt auf meiner Reise. Ich bin zu mir selbst gekommen, ich habe erlebt, was oben in diesen vier Worten festgehalten ist, mir geht es gut, ich bin angekommen. Es fühlt sich an, als wäre meine Reise abgeschlossen, ich brauche nicht wirklich weiter zu gehen.
Trotzdem reiße ich mich von diesem denkwürdigen Moment los und beschließe, dass ich die Wanderung unbedingt beenden möchte. Der Weg der Weisheit hat die Form eines fliegenden Vogels und ich möchte beide Flügel dieses Weges ausbreiten. Es dauert immer noch sehr lange, bis ich wirklich gehe und gehe. Ich wandere und gehe langsam. Anscheinend bin ich noch nicht ganz bereit für das Leben um mich herum. Ich wäre gerne noch einen Tag geblieben, um dieses Gefühl festzuhalten. Aber ich gehe stetig weiter und lasse das Kloster langsam hinter mir. Ich schalte Musik ein und das hält die Stille in mir für eine Weile.
Das Emmauskloster: das älteste Kloster der Kapuziner, eines Ordens, der von den Ideen von Franz von Assisi (1181-1226) inspiriert wurde. Dieser Franziskus betrachtete alle Menschen, Tiere und sogar Sonne und Mond als „Brüder und Schwestern“.
„Francis, du bist mein Mann“
Einführung:
Mein Name ist Simone Venderbosch. Ich liebe es, alleine spazieren zu gehen. Ich gehe nur markierte Routen und am besten solche mit einem Büchlein. Stunden, Tage, Wochenenden oder Wochen. Mit oder ohne Zelt. Hingabe, Vertrauen, Freiheit, Frieden, Stille, Natur und die Elemente stehen für mich beim Wandern im Mittelpunkt. Meine Geschichten beschreiben die Erfahrungen, die ich mache, mein Fummeln, die schwierigen, peinlichen und euphorischen Momente. In einem Moment kontemplativ, im nächsten mit einem Körnchen Salz. So wie ich bin.