Die Welt als warmes Nest
Interview mit Hanneke Vermeer, die zusammen mit 80 anderen Freiwilligen die Stevenskirche offen hält: unser großartiger Start- und Endpunkt, der in all seiner Pracht auch so viel Stille und Geborgenheit beinhaltet. Hanneke hat schon viele Pilger eintreten sehen und trägt sie auch in das Pilgerregister ein. Von Damien Messing.
Vor einigen Monaten wurde Hanneke (76) auf dem Weg zur Stevenskerk von einem Motorroller überfahren. Als sie ausgestreckt auf dem Boden lag, eilten Nachbarn zu ihr und hörten: „Ich muss in die Kirche, ich muss in die Kirche…“ Hanneke kann jetzt herzhaft darüber lachen: „Natürlich dachten sie: Es fängt an, wild zu laufen!“ Aber sie musste wirklich in die Kirche gehen, um Gastgeberin zu sein. Sie bekam erst Hilfe, als jemand auf ihr Fahrrad sprang, um ihre Ankunft zu stornieren.
Fast hätte ich von Hanneke nichts anderes erwartet. In den vier Jahren, in denen ich sie kenne, ist sie fast immer zielstrebig und präsent: hier ein Plauder, dort beim Aufräumen. Wenn ein Mülleimer voll ist oder Krümel auf dem Boden liegen, macht sie sich sofort an die Arbeit. Regelmäßig begrüßt sie Besucher, die an der Tür stehen, charmant bis zur Perfektion und mit einem strahlenden, etwas verschmitzten Lächeln. Sie lebt von Aufmerksamkeit, schenkt sie aber auch.
Ich kann ihr Auge fürs Detail nachvollziehen: Seit 35 Jahren hat sie ihr eigenes Unternehmen in der Einrichtungsberatung (Atelier ‚t Roth, immer noch in Betrieb). Aber woher kommt diese Aufmerksamkeit für die Menschen?
„Für jemanden da zu sein, ist etwas, das ich von zu Hause gelernt habe. Ich habe zehn Jahre lang als Freiwillige bei den Vier-Tage-Märschen gearbeitet: Ich habe die Wanderer um vier Uhr morgens gestempelt und nachmittags wieder willkommen geheißen. Jahrelang kam ein blinder Soldat zu mir, um mit mir zu stempeln, er lebte einsam in einem Zimmer im hinteren Teil von Den Haag. Jeden Tag, an dem er ankam, war er glücklich. Der Applaus auf dem Weg, die Anerkennung, die ihm entgegengebracht wurde… Wenn er nicht drin war, suchte ich ihn mit dem Scanner auf dem Fahrrad: Er musste es schaffen.
Heutzutage ist das nicht mehr möglich. Wenn du zu spät kommst, kannst du tot umfallen. Aber ich habe nicht diese Armee-Mentalität. “
Ich teile mein Vorurteil, dass es bei der Innenarchitekturberatung um das Aussehen geht, während sie auch so viel Wert auf das Innere legt.
„Wenn es um Innenarchitektur geht, stehen für mich die Menschen im Mittelpunkt. Ich werde mit ihnen frühstücken oder zu Mittag essen, abends etwas trinken. Erst dann sehe ich ihre Bedürfnisse: Sind es warmherzige Menschen oder Geschäftsleute, oder richten sie sich an Kinder? Ich liefere keine Standard-Innenkopie von Jan.“
Plötzlich verstehe ich, warum ich nie einfach anonym an Hanneke vorbeigehen kann. Ich fühle mich von ihr gesehen. Sie beobachtet mich, aber nicht von irgendwelchen bürgerlichen Maßstäben aus. Für sie dreht sich alles um das Aussehen, bei dem du nach außen hin zeigst, was in deiner inneren Welt vor sich geht.

Detail Stevenskerk – charakteristischer Maurer aus dem 13. Jahrhundert, der zeigte, was er für jede Säule getan hatte, auf deren Grundlage er dann am Ende der Woche vom Superintendenten bezahlt wurde.
So sieht sie die Kirche. Natürlich erfreut sie sich an dem enormen Detailreichtum (sie nimmt mich sofort mit – siehe Foto) und kann geschmackvoll davon erzählen – „am liebsten zu Schulklassen!“ Aber die Kirche ist mehr als nur schön. „Es ist eines der ältesten Denkmäler, die wir in dieser Stadt haben.“ Ein Denkmal, an dem jeder willkommen ist und bei dem die Tür dank der 80 Freiwilligen fast das ganze Jahr über geöffnet ist, mit freiem Eintritt. Ein Stück Gastfreundschaft im Namen der Stadt. Das vermittelt sie und möchte sie an jeden Besucher weitergeben. Hanneke, der ursprünglich Katholik war, ist nun in dieser Kirche ökumenisch geworden: „Ein Protestant hat mir etwas zu sagen und ein Muslim auch. Wir sind alle etwas.“
Hanneke selbst war eine der ersten, die den Weg der Weisheit gegangen ist. Jetzt freut sie sich über die Ankunft der Pilger: „Diese Emotionen! Wenn sie am letzten Tag hier ankommen… Ich hatte Leute, die geweint haben. So emotional. Dann frage ich: Ist es, weil du es geschafft hast? Ist es aber nicht. Es ist eher so, dass sie tief zu sich selbst gekommen sind, zum Kern ihres Selbstseins. Im normalen Leben umgeben sich die Menschen mit anderen, aber auf so einer Reise ist man trotzdem tagelang alleine. Das ist emotional.“
Von ihren Mitfreiwilligen weiß ich, dass Hanneke sich Zeit für Pilger nimmt. Zum Unverständnis eines von ihnen, der in fünf Minuten fertig ist, kann Hanneke zwanzig Minuten damit verbringen: etwas zu trinken bekommen, zuzuhören. Am meisten berührte sie eine Frau, die jahrelang eine große Firma hatte und deren Kinder gerade aus dem Haus waren. „Sie war zu Hause bei ihrem Mann und plötzlich hatte sie das Gefühl eines leeren Nestes. Da fing sie an zu laufen.“
In Hannekes eigenem Leben gab es kein Nest, „aber ich möchte für eine Weile ein warmes Nest für jemanden sein“.
Mehr über die Stevenskerk in der Publikation Die Stevenskirche: 750 Jahre Spiegel von Nimwegen – Link